Als wir um kurz nach acht aufs Gelände des Schlachthofs in Wiesbaden rollen, ist meine kanadische Begleitung zunächst geschockt von der Menschenmenge, die sich hier schon drängt. Dass die Bright Eyes auch in Europa mittlerweile enorm bekannt sind, hatte sie wohl nicht erwartet und so müssen wir auch erstmal in der Schlange stehen bevor man uns Einlass gewährt. Einlass in die große Halle des Schlachthofs versteht sich und die ist prächtig gefüllt, geistert doch Conor Oberst spätestens seit der Veröffentlichung seiner letzten beiden Platten unübersehbar sowohl durch die einschlägige Musikpresse, als auch durch die Feuilletons der großen überregionalen Zeitungen. War die letzte Tour im Frühjahr noch der großartigen ‚I’m Wide Awake I’ts Morning’ gewidmet, so wird heute Abend die elektronischere ‚Digital Ash In A Digital Urn’ im Mittelpunkt des Konzertes stehen.
Als gegen neun Uhr The Faint mit ihrer Show beginnen, scheint noch das helle Abendlicht durch die oberen Fensterreihen des Schlachthof-Gebäudes. Zwar wäre etwas mehr Dunkelheit wohl passender, als die ehemaligen Saddle Creek – Labelmates der Bright Eyes die Bühne betreten, aber auch so sind sie überraschenderweise von der ersten Minute an mitreißend. Lichtshow und die Diaprojektionen die die Elektropoprock-Show untermalen sollen, wirken natürlich erst gegen Ende so richtig, aber trotzdem können The Faint von Anfang an überzeugen. Angekündigt als „die besseren Depeche Mode des Indierocks“ war ich doch eher skeptisch, wie sie sich als Vorband der Bright Eyes machen würden. Wenn allerdings eine Band, die anfangs noch mit gefälligem Kopfnicken bedacht wurde, nach einer guten Stunde einen springenden, tanzenden Saal hinterlässt, spricht dies wohl für sich.
Die Umbaupause dauert dann fast 40 Minuten, doch das muss wohl so sein, wenn man sich anschaut, was da auf der Bühne alles an Instrumenten aufgefahren wird. Zwei Schlagzeuge, zwei Keyboards, Synthies und allerlei Elektrokram müssen erstmal aufgebaut und wie auch die fünf Gitarren, die Streicher oder die Trompete zunächst dem Soundcheck unterzogen werden. Nichtsdestotrotz bleibt die Stimmung im bunt gemischten, erwartungsvollen Publikum bestens.
Mit lautem Beifall werden dann die neun Bandmitglieder, bestehend aus Leuten von The Faint, den Yeah Yeah Yeahs und Cursive, begrüßt und ganz sanft beginnt das Konzert der Bright Eyes mit Time Code. Nach einer kleinen Ewigkeit betritt dann auch endlich unter lautem Jubel Conor Oberst die Bühne, greift zur Becks Flasche und das Konzert beginnt dann ohne Übergang eigentlich erst so richtig mit Gold Mine Gutted und dem wunderschönen Arc Of Time. Erst danach wendet sich Oberst ans Publikum, trinkt mit nur wenigen Zügen das Bier aus und dem folgenden Gestammel kann man entnehmen, dass es nicht die erste Flasche an diesem Abend ist. Einige weitere werden folgen und anscheinend ist der Junge immer noch halber Alkoholiker, dafür aber der mit den traurigsten und schönsten Augen der Welt. Und singen kann er diese unendlich traurigen Texte mit einer solchen Intensität, dass es einem manchmal fast die Tränen in die Augen treibt. Zwar mag dies auf der letzten Tour zu ‚I’m Wide Awake, It’s Morning’ mit den puren Akkustik-Stücken noch intensiver gewesen sein, doch auch bei den Songs von ‚Digital Ash In A Digital Urn’ entstehen diese Momente. Momente in denen tausend Leute wie gebannt an den Lippen des Bright Eyes-Jungen hängen und man, würde plötzlich die Musik ausfallen, eine Stecknadel fallen hören könnte. Besonders gelingt dies bei Down A Rabbit Hole und bis zur Perfektion treibt Oberst diese melancholische Stimmung im wunderschönen Devil In The Details. Vielleicht muss der traurige Junge so betrunken sein, um diese unglaublich mitreißenden Momente entstehen lassen zu können.
Die Band spielt übrigens hervorragend zusammen, unglaublich was zwei Drummer für eine Energie erzeugen können, und auch die Stimmung auf der Bühne ist recht ausgelassen. Oberst bestätigt zwar seinen Ruf als Diva wenn er ungeduldig an den Gitarrenständern zerrt, die Roadies rumkommandiert und einen Song kurz unterbricht, als ihm der Scheinwerfer zu sehr ins Gesicht strahlt („Please turn off the lights“ …nichts passiert… „Turn off the fucking lights!!!“), aber dennoch lässt er sich auch zum einen oder anderen Scherz hinreißen. Teilweise wird er sogar richtig übermütig, so springt er beim letzten Song I Believe In Symmetry über die Schlagzeuge und schwankt gegen Ende auf dem Keyboard, was angesichts seines Alkoholpegels bestimmt nicht ungefährlich ist.
Mit Neely O’Hara gab es im regulären Set nur einen einzigen älteren Song von der ‚Every Day And Every Night EP’, ‚I’m Wide Awake, It’s Morning’ wurde leider komplett ausgespart. Dafür wird nach über einer Stunde die Zugabe unter lauten Verzückungschreien mit dem einzigartigen Lover I Don’t Have To Love eröffnet. Conor Oberst sitzt am Keyboard, er singt so wunderschön und man erinnert sich, wann man diesen Song das erste Mal gehört hat. Ich hatte wohl gerade mein Abi in der Tasche und bin im Sommer 2002 als Rettungszivi beim Roten Kreuz abgefuckt. Leider habe ich die Bright Eyes danach erstmal aus den Augen verloren, doch seit einem halben Jahr hat Conor Oberst mich wieder – oder ich ihn? Das großartige Easy/Lucky/Free ufert gegen Ende in ein einziges Donnergrollen aus und setzt den Schlusspunkt unter einen wunderschönen Konzertabend. Eines der vielleicht schönsten und intensivsten Konzerte die ich je erlebt habe!
Time Code Gold Mine Gutted Arc Of Time Ship In A Bottle Light Pollution Down A Rabbit Hole Take It Easy (Love Nothing) Neely O’Hara Hit The Switch Devil In The Details I Believe In Symmetry --------------------------- Lover I Don’t Have To Love Easy/Lucky/Free
Apropos Sommer 2002, auf der Heimfahrt haben wir zum ersten Mal nach langer, langer Zeit mal wieder „Stay What You Are“ von Saves The Day gehört – immer noch ganz groß!