Manchmal gibt es sie dann eben doch, diese außergewöhnlichen Momente. Selbst in einem Nest wie Marburg kommt dann Großstadtatmosphäre auf, wenn im Philfak-Tunnel auf einer der größten illegalen Elektroparties, die diese Stadt je gesehen hat, im Laufe der Nacht wohl über tausend Leute zum Tanzen gebracht werden. Doch drehen wir die Uhr noch einmal um fünfzehn Stunden zurück. Zurück in die Mittagszeit in der wir uns in an den Lahnwiesen mit dem “Projekt Sekt“ auf das eigentliche Event dieses Tages einstimmten. Die MTV Campus Invasion 2007 lockte nämlich rund 12.000 Besucher aus ganz Deutschland in unsere schmucke Universitätsstadt und wenn geschätzte 500 Meter vor der eigenen Haustür Bands wie Mando Diao, Juli, Dashboard Confessional, Maxïmo Park, Tocotronic und Jamie T. auftreten, wäre man ja schön dumm nicht dort hinzugehen. Letztgenannter Jamie T. spielte übrigens als erster und hatte deshalb das Pech von uns verpasst zu werden. Wir genießen lieber unsere Freizeit und trinken warmes Bier im Park.
Pünktlich zum Auftritt von Tocotronic standen wir dann aber vor der Bühne und spätestens bei Ich Bin Viel Zu Lange Mit Euch Mitgegangen fühlten wir uns dann auch wieder wie damals mit 16. Die heute 16jährigen warteten übrigens an diesem Tag schon seit Stunden vor der Bühne auf die harten Rocker von Mando Diao und machten einen etwas verstörten Eindruck, als Dirk von Lowtzow sie auf das “aller, aller, allerherzlichste Willkommen“ hieß. Neue Songs wie Mein Ruin oder Kapitulation kündigten Großes für das in Kürze erscheinende neue Album an und wurden bunt gemischt mit alten Hymnen in Form von Jackpot oder dem unerwarteten Kleinkunst. Das wunderbare Hi Freaks in strahlendem Sonnenschein ließ den Abisommer 2002 wieder aufleben und Freiburg weckte zum Abschluss Erinnerungen an erste Klassenfahrten in grauer Vorzeit. Ist es erlaubt nostalgisch zu werden? Es ist eh egal, denn es war in jedem Falle ein großartiger Auftritt einer immer noch wichtigen Band.
Mein Ruin Ich Bin Viel Zu Lange Mit Euch Mitgegangen Sie Wollen Uns Erzählen Kapitulation Ich Verabscheue Euch Wegen Eurer Kleinkunst Zutiefst Aber Hier Leben, Nein Danke Aus Meiner Festung Die Grenzen Des Guten Geschmacks 2 Jackpot Mein Prinz Sag Alles Ab Hi Freaks Freiburg
Doch zurück in die Gegenwart und in der ging es mit den sympathischen Briten von Maxïmo Park weiter, bei denen sich erstmals das komplette Publikum vor der Bühne versammelte und richtige Festivalatmosphäre aufkommen ließ. Ein Kompliment übrigens an die Veranstalter, die die Bühne tatsächlich so ausgerichtet hatten, dass links dahinter die Marburger Oberstadt mit dem majestätischen Schloss herausragte und rechts die grünen Lahnberge mit dem romantischen Spiegelslustturm zu sehen waren. Es müssen tolle Fernsehbilder gewesen sein und bestimmt eine gute Werbung für die Stadt. Maxïmo Park jedenfalls eröffneten ihre Show souverän mit dem Doppelpack aus Girls Who Play Guitars und Limassol. Die Livequalitäten der Jungs aus Newcastle sollten sich mittlerweile herumgesprochen haben und so gab es eine Stunde lang Hit auf Hit, inklusive aller erdenklichen Turnübungen von Sänger Paul Smith. Zwar lag der Schwerpunkt auf dem neuen Album und es gab beispielsweise leider kein The Coast Is Always Changing mehr, doch auf einem Festival kann man nicht alles haben und da bei dieser Band eh jeder Song ein Feuerwerk ist, wurde auch bei Graffiti oder Kiss You Better außreichend gesprungen und gesungen.
Girls Who Play Guitars Limassol A Fortnight's Time Parisian Skies Graffiti Our Velocity Russian Literature Kiss You Better Karaoke Plays I Want You To Stay The Unshockable Apply Some Pressure Books From Boxes Nosebleed
Eigentlich hätte ich dann nach Toco Park schon wieder gehen können, doch wir waren mit so vielen Leuten (auch viele ehemalige Marburger, die die Gelegenheit nutzten um mal wieder vorbeizukommen) auf dem Gelände vertreten, dass man quasi zum Bleiben und Weiterfeiern gezwungen wurde. So wurde während Juli der etwas abgesunkene Bierpegel wieder auf ein anständiges Niveau gebracht und lautsstarke Bestürzung über den Auftritt von Dashboard Confessional geäußert. Tatsächlich kam nämlich während des Konzerts der gute alte Chris Carrabba auf die Bühne und gab mit Julis Eva seine neue Version von Stolen zum Besten. Das Stück ist natürlich nach wie vor ein schöner Song, doch hat Chris das wirklich nötig? Aber wer Platten verkaufen will, darf sich wohl für nichts mehr zu schade sein. Zu dem Juli-Gig ist noch anzumerken, dass ich über mich selbst erschrocken war, wie viele Songs der Gießener ich dann doch kannte. Da zeigt sich mal wie sich permanente Dauerbeschallung in Einkaufszentren und Restaurants auswirkt, denn mit Fug und Recht darf ich behaupten, dass noch nie eine Juli-Platte in meiner Stereoanlage gelaufen ist.
Ähnliches spielte sich dann auch zum Sonnenuntergang bei Mando Diao ab, bei deren Auftritt auf dem Gelände dann wirklich die Hölle los war. Die Schweden lieferten ein routiniertes Rockstar-Set mit viel Bühnengerotze und wenigen Ansagen. Doch was mich am meisten störte war die Tatsache, dass ihre Show derart vorhersehbar war. Kleiner Hit am Anfang, dann viele Albumfüller und am Ende die größten Songs inklusive Down In The Past als letzter Zugabe. Hausfrauen- und Studentenrock par excellence und da beide Gattungen in ausreichender Anzahl vertreten waren, wurde vor der Bühne ordentlich gekreischt und geschrien. Anschließend sollen die Jungs auch noch auf der Aftershowparty in den Waggonhallen gesichtet worden sein, doch da waren wir schon auf besagter Philfak-Tunnelparty, die spontan aus dem Boden gestampft worden war und zu einem unvergesslichen Ereignis werden sollte. Ein außergewöhnliches Wochenende. Vor allem in Marburg.