20. Januar 2007 Live Music Hall, Köln ca. 1500 Besucher (ausverkauft) Tickets: 25 Euro
Eine solch lange Schlange vor einem Laden habe ich das letzte Mal beim Deftones-Konzert im E-Werk gesehen – und da war das Konzert umsonst. Heute ist es, nun, nicht umsonst. Dass Wirtschaftsrad dreht sich hier in eine Richtung, und die geht hinaus aus den Taschen der Gäste. Das Konzert ist seit mehreren Wochen ausverkauft, also werden die Schattenwirtschaftler angezogen. Flaschensammler grasen die Weide Konzertschlange ab, sie prügeln sich fast um jede 8 Cent die wieder leer werden, und diese Sammler werden immer mehr, überall, in der ganzen Stadt – das erschreckende daran ist, dass sie nicht aussehen wie Penner oder Obdachlose, sondern einfach wie arme Schweine, die nicht das Glück haben eine Arbeitsstelle oder den richtigen Pass oder die richtigen Eltern zu haben. Die Schlang führt vorbei an Osteuropäern die nachgemachte Merchandiseartikel anbieten, es ist ein bisschen so wie auf einem Festival. Daneben schreien sich Schwarzhändler Preise zu, neben mir kauft ein Typ eine Karte für 70 Euro. Er hätte sicher auf 50 herunterhandeln können, aber darunter geht für Nicht-Kartenbesitzer sehr wenig. Ich habe meine Karte gestern per Expresskurier geschickt bekommen und habe deswegen andere Sorgen. Zum Beispiel: bin ich pädophil wenn ich den Mädchen hier auf den Arsch gucke? Der Altersdurchschnitt ist aber auch wirklich extrem niedrig. Oft ist es ja albern wenn man hört oder liest „ach, da waren ja so viele Kiddies, ich bin ja so alt blablabla“, aber manchmal stimmt es eben, und so war es hier auch. Dass ist bei Plus 44 für mich nur halbwegs verständlich. Blink 182 kennen viele der Teenies hier doch höchstwahrscheinlich gar nicht mehr wirklich, die Bandjungs sind schon alle jenseits der 30 und letztlich ist sogar die Musik bei aller Poppigkeit nicht auf den ersten Blick Kinderkompatibel. Nach dem Garderobenmarathon, nach dem Motto wie geben 1000 Menschen ihre Jacke gleichzeitig an zwei Menschen, legten schon The Tommys los. Die Gerüchte, dass Plus 44 und die Mitglieder Sexkaspaden nicht abgeneigt sind bestätigt sich in den Hirnen der Anwesenden, denn die Rockband besteht nur aus doch recht attraktiven jungen Frauen. Netter und dick besoundter Rock mit Schweine-präfix, aber irgendwie doch nur dazu gut das Bier zu trinken und sich durch die Menge der restlos ausverkauften Live Music Hall zu kämpfen. Nach Rockstar-mäßig langem Umabauen betraten dann Plus 44 die Bühne – und einige waren wohl regelrecht geschockt. Sehr kurzfristig musste Travis die gesamte Tour ab dem Kölnkonzert absagen und saß schon im Flieger nach Los Angeles als er doch auf dieser Bühne hatte stehen sollen. Eine mehr als ärgerliche Geschichte, aber trotzdem waren die „Travis, du Arschloch!“-Rufe doch nur ein Zeichen dafür, wie Glamourgeil die Kids hier waren und wie viele nur gekommen waren um den MTV-Star zu sehen und nicht um die Musik zu hören. Ich denke der Mann würde, wenn es irgendwie gegangen wäre, hier und heute spielen, die meisten hätten mit gebrochenem Arm schließlich sofort aufgehört, er spieltr noch Monate weiter. Als die Band dann loslegt kann ich nicht anders als lächeln. Die ganzen Teenies springen wie wild herum, sind völlig aus dem Häuschen weil es jetzt endlich los geht und hüpfen zuckend herum wie bei der Weihnachtsbescherung. So war ich früher auch, denke ich lächelnd. Pogo ist der Ausdruck für zu große Unsicherheit zum Tanzen. Wie das früher bei mir auch oft der Fall war verausgaben sich die Kids aber schon am Anfang total und schnell beruhigt sich die wabernde Masse wieder. Es riecht nach Pubertätsschweiß und zarter Sexualität. Die Lieder die folgen finde ich ja erstaunlich gut. Das Debütalbum der Band mit dem bescheuerten Namen ist wirklich gut gemacht, sehr dick und breitflächig, mit einem erwachseneren Sound und wirklich gut geschriebenen Songs. Nur ist das Ganze auf dem Album um einiges besser als Live. Es liegt nicht am Sound, der ist Live Music Hall-typisch erstklassig. Es liegt teilweise natürlich am Drummer, denn der Ersatzspieler, ein gewisser Gilles, hat die Songs gerade gestern gelernt und spielt sie heute zum ersten Mal vor Publikum – klar, dass er einem der besten Schlagzeuger der Welt so nicht das Wasser reichen kann. Es liegt zum Teil auch an Sänger Marc, denn dessen Stimme verlässt ihn nach einigen Liedern ein ganzen Stückweit. Am wichtigsten aber: Spiellaune geht sicher anders. Lange Spielzeit natürlich auch, denn mehr als jedes Lied vom Album plus eine Coverversion zocken geht nun mal nicht. So werden nach nicht einmal einer Stunde, es ist noch vor zehn, die enttäuschen Kinderkehlen wieder lauter und „Travis, du Arschloch“ angestimmt als wäre es ein Hidden Track. Ich kann jeden der Geld bezahlt hat verstehen. Für einen stolzen Preis sollte man doch eine stolze Show erwarten dürfen. Solange noch genügend Leute für so was so viel Geld bezahlen wird sich aber nichts verändern. Die enttäuschen Kinder werden von ihren Eltern abgeholt, zurück bleiben Nachwirkungen eines Hurricanes, traurige Flaschensammler und zufriedene Ticketverticker.
-------------- The artist formerly known as Ulrich.
Schon jetzt ein heißer Favorit für mein Wort des Jahres 2007 ;-) Viele der Leute, die Flaschenpfand einsammeln, machen das übrigens nur deshalb, weil sie nicht wollen, dass das Geld quasi auf der Straße liegenbleibt. Zur Aufbesserung der Rente, als Taschengeld. So richtig davon leben kann man wohl nicht, als Existenzgrundlage ist das wohl nicht anzusehen.
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend
natürlich kann da keiner von leben, aber es ist schon schlimm wenn sich erwachsene menschen erniedrigen müssen 15jährige kids um ihren flaschenpfand anzubetteln, nur um sich ihr hartziv etwas aufzubessern. und das kommt bei konzerten und festivals tatsächlich immer häufiger vor. aber das ist ein anderes thema, zu +44 kann ich nur sagen, natürlich ärgere ich mich dass ich nicht da war, weil ich die platte auch mag. aber die reaktionen der kids mit "travis du arschloch"-rufen sind ja wohl ein witz und hätten mir eh den abend verdorben...
irrre ich mich oder haben sie tatsächlich make you smile nicht gespielt? konzert war ansich ganz nett auch wenn bei mir der funke nicht ganz übergesprungen ist,hat was gefehlt (nein,nicht travis-gehöre zum glück nicht zu dieser "ich kauf mir nur ne karte um travis zu sehn-fraktion"). und so niedrig war der alterdurschschnitt doch auch nicht,im hinteren bereich standen einige eltern ;)
zu den flaschensammlern:ganz schlimm fand ich es ja als flaschen absichtlich vor den leuten auf den boden geknallt wurden.
Sehr schön geschriebener Konzertbericht. Erstaunlich wie populär +44 nach nur einer recht guten Platte schon sind. Liegt wohl doch an Travis, der seine Fresse in jede Kamera hält ;)