Stil: atmosphärisches Postrock-Erlebnis Label:Defiance Records / Rough Trade Spieldauer: 10 Tracks, 40.50 min. Release: 24. Mai 2004 Highlights: Un Gran Final; Feliz En Tu Día; G.M.; La Vieja Gibbelina MP3s: >> La Vieja Gibbelina; >> Por Todas Las Cosas
Das Konzeptalbum Memories Collector von Standstill aus Barcelona war vor zwei Jahren eine kleine Revolution für die (Post-)Hardcore-Szene: Eine vielschichtige, unglaublich intensive Platte voller Wut, Verzweiflung und Melancholie, die den begrenzten Horizont des Hardcore-Genres weit hinter sich ließ. Damit machte man sich natürlich nicht nur Freunde in der Szene, aber schon die letztjährige Akustik-EP The Latest Kiss war dann auch schon völlig abseits des Hardcores alter Tage. Somit war es wohl auch abzusehen, dass das neue, selbstbetitelte Standstill-Album anders werden würde, aber mit welcher Konsequenz die Band hier einen wiederum völlig neuen Sound geschaffen hat verblüfft dann doch. Die oftmals reduzierte, zurückgelehnte Instrumentierung ist der Teppich für die stoischen Melodien von Sänger Enri, die mit ruhiger, meditativ-sonorer Gesangsstimme vorgetragen werden. Immer wieder wird einer jener heftigen emotionalen Ausbrüche angedeutet, die Memories Collector noch so geprägt haben, aber fast nie wird auf der neuen Platte der letzte Schritt vollzogen, die Wut herausgelassen, kathartisch geschrien. Eher übt man sich im Jahre 2004 an einer zunächst seltsam anmutenden Art von Understatement, die es einem anfangs schwer macht, mit den neuen Songs warm zu werden. Nicht ganz unschuldig daran ist auch die bandinterne Entscheidung, ab sofort nur noch in der spanischen Muttersprache zu singen. Dieser neue Faktor im Klangbild entpuppt sich jedoch als goldrichtig, denn der exotische Klang des Spanischen passt ganz hervorragend zur Atmosphäre und verleiht dem Ganzen zudem eine noch mysteriösere Note. Es fängt alles an mit Feliz En Tu Día, dem schwerfälligen Opener, der jedoch mit der Zeit zu einem der stärksten Albumtracks heranwächst. Dieses Phänomen zu erklären ist nicht leicht, später jedenfalls stellt man sich die Frage, warum man diesen tollen Song nicht schon viel früher würdigen konnte. Jedenfalls ist dieser Song ein umfassendes Beispiel für die "neuen" Standstill. La Vieja Gibbelina dagegen ist eingängiger und geht ein bisschen mehr nach vorne, aber von einem Uptempo-Smasher wie einst Ride Down The Slope ist man auch hier noch weit entfernt. Das neue Standstill-Album lebt von seiner ungemein dichten Atmosphäre und von seinem einzigartigen Sound, einem gewissen Akustik-Vibe. Schwer vorstellbar, aber trotz aller Ruhe und vermeintlicher Monotonie entwickelt Standstill mit der Zeit auf eine völlig andere Art und Weise die gleiche Intensivität, die auch schon Memories Collector zu einem fantastischen Werk machte. Innerhalb des Trips, auf den man in G.M. mitgenommen wird, macht man abermals Bekanntschaft mit dem schon von der EP bekannten Glockenspiel, auch Poema No. 3 knüpft nicht nur im Titel an den Memories Collector-Track Two Poems an. Das nur aus vier Zeilen bestehende Si Me Levanto ist maximale Reduktion, traurig, dennoch schön, aber mit bösem Inhalt. Ins Englische übersetzt heißt es da nämlich: "Rock me slowly/rock me a little more/cause if I get up/I´m going to kill you". Gegen Ende der Platte dann, als man überhaupt nicht mehr damit rechnet, spucken Standstill mit dem überaus passend betitelten Un Gran Final dann doch noch einen lauten, intensiven Höhepunkt aus, der mit seinem überdrehten Gitarrenspiel und dem rasenden Gesang noch am ehesten an alte Zeiten erinnert. Das mit latenten Blues-Einflüssen versehene, bedächtige 88:88 demonstriert dann nochmal eindrucksvoll das Charisma und die Ausdrucksstärke des Gesangs und stellt gleichzeitig den Schlusspunkt dar, mit dem der Vorhang im Standstill-Theater fällt. Applaus!
Fazit: Selten war ein Bandname unpassender als hier: Schon wieder haben sich die fünf Spanier neu erfunden und ein kunstvolles Album zwischen Manie und Meditation abgeliefert, dass seine bestechende Klasse allerdings erst mit der Zeit offenbart. Wer ein zweites Memories Collector erwartet, wird bitter enttäuscht, allen jedoch, die musikalische Progressivität zu schätzen wissen, sei Standstill dringendst empfohlen.
Wertung:
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend
naja, musikalische progressivität in allen ehren: memories collector ist weiterhin der meilenstein, an dem sich standstill selbst messen lassen müssen. das hier ist in ordnung, aber ein bißchen enttäuscht war ich zugegebenermaßen schon
-------------- The artist formerly known as Ulrich.
Sind halt zwei grandiose Platten, die sich aber völlig voneinander unterscheiden, dass man da die eine der anderen vorzieht, ist also kein Wunder. Meiner Meinung nach ist die neue Scheibe Memories Collector in jedem Fall ebenbürtig.
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend
STANDSTILL - S/T
