Eine Band erfindet sich neu und liefert nebenbei die vielleicht beste Metalscheibe des Jahres ab: Disillusion übertreffen sich selbst mit einem atmosphärischen Meisterwerk der Extraklasse.
Vor zwei Jahren platzten drei Leipziger namens Disillusion aus dem Nichts in die internationale Metalwelt. So wirkte es zumindest für viele, unwissend, dass das Trio sich erst nach gut 10 vorbereitenden Jahren Bandgeschichte an seinen ersten Longplayer “Back To Times Of Splendor“ herangewagt hatte. Nur konsequent, dass dieser mit gut viertelstündigen, ebenso komplexen wie technisch eindrucksvollen Songkonstrukten und einer beeindruckenden Variabilität zwischen Death-, Trash- und Prog-Metal begeisterten konnte wie sonst nur wenige Erstlinge. Ein Monolith einer Debütscheibe, der aus dem Stand heraus Vergleiche mit Metalgöttern wie Opeth durchaus legitim erscheinen ließ.
Für den Nachfolger hat man sich nun abermals richtig ins Zeug gelegt. Unglaubliche 18 Monate vergrub man sich im Studio, herausgekommen ist dabei ein wohlüberlegtes, ausgereiftes, aber zum Glück dennoch nicht überproduziertes oder totgedachtes Werk. “Gloria“ ist dabei nicht weniger als eine faustdicke Überraschung: Genau wie Opeth, die allgegenwärtigen Brüder im Geiste aus dem hohen Norden, schauen Disillusion weit über den Tellerrand hinaus und suchen sich neue Ausdrucksformen.Von brutalem Gegrowle ist hier keine Spur mehr, der Death Metal weicht einer noch vielfältigen Herangehensweise an alle möglichen Metalspielarten. Auch die das Debüt noch prägenden Streicherparts sind so gut wie gar nicht mehr präsent. Den Mut, seine hart erarbeiteten Trademarks mal eben komplett über Bord zu werfen, muss man erst mal aufbringen.
Stattdessen heißt das Zauberwort für “Gloria“ nun: Atmosphäre. Melodien werden klarer herausgearbeitet, zudem verzieren nun stimmige Elektronik-, Loop- und Drum Machine-Einsprengsel die Songs. Sänger Schmidt verzichtet auf jegliches Gebelle und klingt dennoch so variabel wie nie zuvor - pathetisch und hymnisch, verzerrt und mechanisch, so dunkel wie Type O Negatives Pete Steele zu seinen besten Zeiten oder per unpeinlichem Sprechgesang wie im untypisch geradlinigen Industrial-Mosher “Don’t Go Any Further“.
Dennoch bleiben Disillusion eine Band, zu der das Kopfnicken leicht fällt. Verzückend einfallsreiche Killerriffs werden weiterhin en masse herausgehauen als wäre es simple Fließbandarbeit (siehe nur „Dread It“ oder “The Hole We Are In“), daneben stehen nun allerdings mittlerweile sakrale Kirchenbauten wie der fantastische Titeltrack oder ungemein gelungene Instrumentaltracks zwischen tonnenschwer (“Lava“) und fließend sanft (“Untiefen“). Der thrillermäßige Spannungsaufbau des wie ein überwältigender Strudel über einen einbrechenden Openers “The Black Sea“ oder der das Thema Flugangst beängstigend fühlbar einfangende Quasi-Filmscore “Aerophobic“ machen erklärbar, warum im Info von „David Lynch-Metal“ die Rede ist. Wo dessen Filme Meisterwerke der Atmosphäre sind, findet sich in “Gloria“ ein passendes tonales Äquivalent.
Man muss kein Hellseher sein, um zu prophezeien, dass viele Fans des Vorgängers den Weg, den Disillusion mit “Gloria“ beschreiten, nicht mitgehen werden. Doch allein für den Mut zu einer derartigen Neuerfindung muss man der Band einfach gratulieren. Umso schöner, dass das Experiment zugleich gelungen ist und Disillusion es geschafft haben, ihr bisheriges Meisterstück vorzulegen. Mit einer Scheibe, die auch ohne überlange Songs komplexe Epik kreiert, auch nach dem x-ten Hördurchgang nicht langweilig wird und immer wieder mit tollen Melodien überrascht.
Wertung:
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend