Da war sie also. Die neue von The Mars Volta. Ich war bei Televators in die wundervollste Verzweiflung gefallen, hatte mit Cerpin Taxt sämtliche Komawelten mehrmals durchquert und zwei Jahre später auf eine Weiterführung gefiebert. Hatte dem Wispern bei Miranda, that ghost just isn't holy anymore gelauscht und Fleas Trompete im Dunkeln, im Hellen, zu jeder Zeit und so oft hintereinander gehört, dass ich jeden, der das nicht nachvollziehen konnte, für einen Banausen ohne Sinn für das wirklich Bedeutende hielt. Das ist wohl unter Musikliebhabern eine leider viel zu weit verbreitete Krankheit. Trotzdem schenkte mir diese Band mit ihren bisherigen Alben zwei abolsute Meilensteine. Und nun lag Nummer Drei im Briefkasten. Der Titel: Amputechture. Man traut sich tagelang nicht heran, denkt: "Nein, die Zeit habe ich doch gerade gar nicht!" Und schließlich kann man sich endlich mal einen Abend die Ruhe nehmen, fast alle Lichter löschen und eine weitere Reise mit Vicarious Atonement beginnen. Ich muss bei solchen Gelegenheiten immer an das Buch Lost in Music von Giles Smith denken. Der Autor sitzt als Jugendlicher mit seinen Freunden in einem Zimmer und sie kommen auf die Idee, sich Dark Side of the Moon "in voller Länge, absolutem Schweigen und in der Dunkelheit, um besser die ominöse Stimmung ausaugen zu können und in all der verwirrenden Sonderbarkeit zu baden" anzuhören. Das kommt einem irgendwie bekannt vor. Die Platte wird also gehört, atemlos auf Seite B gewechselt und schließlich, als die Musik langsam ausfadet nimmt es "Stephen Goodrich auf sich, einen durch und durch runden und voll ausgreiften Furz zu lassen". Das Ende der Geschichte ist klar. Viel Gelächter. Man kann wegen so etwas wohl nie zu einem fanatischen Pink-Floyd-Hörer werden. Smith sieht das so: "Also enthielt dieser Moment einen erregenden Anflug von Ketzerei. Aber es brachte uns auch das Gefühl, dass auf eine gutmütige Art der gesunde Menschenverstand in den Raum Einzug gehalten hatte.[...] Wir haben einfach Glück gehabt." Man muss Giles Smith wohl schon für dieses Kapitel danken. Denn es erinnert mich immer daran, auch den gesunden Menschenverstanden nicht zu vergessen. Vielleicht gelingt einem so ein ganz guter Mittelweg. Man kann den Verstand ausschalten. Man kann ihn aber nicht verlieren.
"Wann kommt der denn endlich zu The Mars Volta?" "Na jetzt."
The Mars Volta als moderne Pink-Floyd zu bezeichnen wäre wohl ein Fehler, der Vergleich ist aber trotzdem nicht unbedingt ein hinkender. Es gibt zumindest momenten wenige Bands, die trotz solch einer Form der "Progressivität" eine so große Popularität genießen. Und das mit Recht. The Mars Volta sind eine großartige Band - daran ändert auch gottseidank Amputechture gar nichts. Man ist inzwischen nur fähig, den Menschenverstand in gesundem Maße auch dieser Gruppe zukommen zu lassen. Sicherlich muss man sich auch für das (angeblich so schwierige) dritte Album Zeit lassen. Sich damit anfreunden und es vor allem in Ruhe hören. Das beginnt schon mit dem Opener, der angenehm ruhig, durchsetzt mit den typischen Soundfetzen aus dem Off heranschleicht, und es geht weiter bei Tetragrammaton. Schon beim zweiten Track (Giles Smith sagt: "Man spricht nicht von Songs, sondern von "Tracks", und ein Track ist nicht sein Geld wert, wenn er unter Sieben Minuten lang ist. - Progressive Rock isz Pop mit größenwahnsinnigen Ideen") wird dem Hörer der ganz große Brocken zugemutet: fast 17 Minuten. Dagegen erscheint Meccamputechture geradezu poppig und leicht erschließbar. Auf jeden Fall bleibt die Band auch auf diesem Album sehr abwechslungsreich. Vielleicht ein wenig gemäßigter, weniger wild - es gibt nicht ganz so unglaublich viele Momente, in denen Omar seine Gitarre vor den lateinamerikanischen Rhythmen völlig freischwingen und schreien lässt. Es stört nicht. Die große Veränderung: Es gibt dieses Mal kein großes Konzept. Natürlich gibt es eines. Aber nicht in der Form von Cerpin Taxt, dem Helden aus De-Loused in the Comatorium, der nach einem Selbstmordversuch im Koma liegt und in diesem unfassbare Welten erlebt, Kämpfe austrägt, nur um sich, schließlich wieder erwacht, erfolgreich das Leben zu nehmen. Nicht in der Form von Cygnus, dem adoptierten Protagonisten, der auf der Suche nach seiner Mutter Frances the Mute ein Tagebuch verfasste, dass den Stoff zum zweiten Album lieferte. Böse Zungen mögen unterstellen: The Mars-Volta sind ganz einfach die Toten ausgegangen. Kein Julio Venegas, kein Jeremy Ward. Deswegen beruht Amputechture auch nicht auf einer großen Geschichte, sondern aus vielen kleinen, mehr oder weniger menschlichen Episoden, die sich wie eine Kurzfilmreihe teilweise verbinden lassen, teilweise aber auch völlig für sich zu stehen scheinen. Das große Konzept ist die Band selbst. Das war sie schon von Anfang an und wer das erkennt, der kann The Mars-Volta vielleicht mehr mögen - vielleicht auch weniger. Den Atomkern bilden zwei Menschen (ja! nur Menschen!), andere kreisen um sie und tragen einen Teil dazu bei. Dies ist auch im Booklet überraschend klar vermerkt:
The Partnership between Omar Rodriguez Lopez (who wrote and arranged all music and directs the Group) & Cedric Bixler-Zavala (who wrote all lyrics and vocal melodies) IS THE MARS VOLTA
these Compositions are then performed by The Mars Volta Group Omar Rodriguez Lopez, Cedric Bixler-Zavala, Juan Alderete de la Pena, [...]
Ob man das nun gutheißt oder nicht, sei mal dem Hörer überlassen. Die Band (die beiden?!) hat/haben es wieder geschafft ein sehr gutes Album aufzunehmen, dass einen verwirrt, aber wie immer beeindruckt und hoffentlich in den meisten Fällen begeistert zurücklässt. Still und nachdenklich, wie in der rein spanischen Ballade (kann man bei dieser Band von Ballade sprechen?) "Asilos Magdalena", oder dem am ehesten an den Vorgänger erinnernden "Viscera Eyes". Zum Ende kommt es dann noch einmal ganz dicke. "Day of the Baphomets" mit verschiedenste Suiten, relativ mitreißend und fast 12 Minuten, dann "El Ciervo Vulnerado". Wieder zum Anfang, wieder ruhig und mit schweratmenden Bläsern zum Ende. Wieder der flüsternde Cedric "Because the flies my mouth spill / bare the children at play" und die Sitar im Hintergrund. Dann ganz plötzlich, ohne ausfaden, ohne Taktende: Schluss. Das ist der einzige Moment, in dem die Band mich wirklich überrascht hat. Ohne das übliche Soundgewitter, mitten in dem schönsten Teppich verschiedenser Klänge dem Album einfach die Kehle durchgeschnitten. Vielleicht ist das gut. Es bringt schnell wieder zum Boden zurück. Und nach diesem Album weiß man: Sind ja auch nur Menschen. Das ist okay. Dürfen sie sein. Auch, wenn man das zwischendurch fast bezweifelt. Sie anscheinend auch. "I'm not the human / you thought I was". Ein Glück kommt dann plötzlich jemand in dein Zimmer und sagt: "Wasn das fürn Scheiß?" Oder es gibt so eine Platte wie Amputechture, die dir auf sehr nettem Weg sagt: Hey, ich bin den Freund. Aber mehr auch nicht.
Fazit: Das neue Album von The Mars-Volta ist vielleicht kein ganz großes. Es fehlt vor allem das eine unglaublich tolle Stück (Entschuldigung: der Track), dass man in sein Herz schließt und nicht mehr loslässt. Aber möglicherweise braucht man das gar nicht. Immerhin wohnt die Band dort schon einige Jahre und macht ihre Sache gut. Zumindest so gut, dass sie dort bleiben darf. Auch das Dritte ist gelungen und tausendmal besser als so viel anderes, was man da draußen finden kann. Nicht Scully?
-------------- Some people never go crazy. What truly horrible lives they must lead.
ein weiteres absolut uninteressantes band der am meisten überschätzten band des planeten und von daher schon fast eine frechheit.
du sprichst mir absolut aus der seele. überambition in leerer hülle, part 2. dabei war de-loused doch wirklich noch ein sehr gutes album. aber wie ein vermeintlicher forschungsdrang auf die nerven gehen kann, zeigt auch dieses album wieder eindrucksvoll...und nicht, dass mir hier jetzt wieder einer ankommt von wegen "du versteht das nicht" oder so ein quatsch...
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend