Prolog: Wir schreiben das Jahr 1991. Nevermind von Nirvana schlägt ein wie eine Bombe, die Seattle-Szene um Soundgarden, Alice In Chains & Co ist in aller Munde. Vier Schulfreunde aus York, Pennsylvania veröffentlichen mit Mental Jewelry ein zwar verdammt gutes, aber von der Öffentlichkeit weitestgehend sträflich missachtetes Debütalbum, das im allgemeinen Grunge-Boom untergeht. Doch drei Jahre später ist ihnen das Glück hold: Von ihrem Zweitwerk Throwing Copper verkauft die Band Live überraschenderweise die astronomische Zahl von über zwölf Millionen Exemplaren. Wie es dazu kam? Nun, jeder einzelne Song dieses Albums war für sich genommen großartig, aber zusammen waren sie magisch und bildeten ein wahres Manifest der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Alternative Rock-Bewegung. Die Band spielte großartig und hatte mit Ed Kowalczyk einen mit unglaublichem Talent gesegneten Vokalisten in ihren Reihen. Mit Selling The Drama und Lightning Crashes warf die Platte zwei Megahits ab, eine Unplugged-Session bei MTV folgte. Die Band, die also mit Throwing Copper nicht nur ein überwältigendes Album erschuf, sondern auch gleichzeitig kommerziellen Weltruhm erlangte, fiel in ein tiefes kreatives Loch. Erst drei Jahre später kommt mit dem düsteren Secret Samadhi der lang erwartete Nachfolger des Megasellers in die Läden, der zwar künstlerisch durchaus an die Großtaten anknüpft, wegener seiner erschwerten Zugänglichkeit kommerziell jedoch nicht annähernd so erfolgreich abschneidet wie die Vorgängerplatte. Erst mit dem 1999 erschienen The Distance To Here geraten Live wieder auf die Erfolgsschiene zurück, trotz einiger misslungener Ausflüge in Ethno-, Spiritualitäts- und Hippie-Gefilde. Zwar ist The Distance To Here kein schlechtes Album, doch die Magie ist weg. Es ist kein von jugendlichem Enthusiasmus getragenes Mental Jewelry, kein Glanzlicht wie Throwing Copper und auch kein verqueres Mysterium wie es Secret Samadhi war. Zudem nervt die zunehmen auch in den Bandkontext übergreifende 'Free Love For All Hippies'-Attitüde des in die Fänge eines ominösen Gurus geratenen Kowalczyks, die sich zudem in deutlich schwächeren Lyrics als zuvor äußert. Wie beschreibt es der Sänger in den Liner Notes zum Album selbst so treffend: "The Distance To Here Is About God And Love And Spirit And A Whole Bunch Of Songs About The Transcendental Water Of Consciousness. This Is A Record For The New Hippies." Doch es sollte noch schlimmer kommen: Zwei Jahre später erscheint mit V das fünfte Live-Album, an dem es so deutlich wird wie noch nie zuvor, dass die Band ihren Zenit eindeutig überschritten hat. Belangloses Standard-Liedgut wechselt sich ab mit falsch verstandener Experimentierlust. Niemand wollte Rap-Parts in Live-Songs haben. Doch die Platte verkauft sich gut, Live sind zufrieden, doch das Feuer ist lange erloschen. Letztes Jahr dann erschien Birds Of Pray, bei dem die Band sich konsequenterweise jedweden Experimenten verweigerte und sich gänzlich dem 08/15-Standard des amerikanischen Alternative-Rocks des neuen Jahrtausends widmete. Es ist schon schade, wie weit es mit dieser einstmals so wichtigen Band gekommen ist, die heute so unglaublich unbedeutend ist, dass es dem vom frühen Schaffen dieser Band maßgeblich musikalisch sozialisierten Verfasser dieses Reviews weh tut. Denn Absprung haben Live leider schon lange verpasst, was uns bleibt, ist die Erinnerung an schönere Zeiten.
Dabei helfen wird uns die dieser Tage erscheinende unvermeidliche Greatest Hits-Platte von Live, Awake: The Best Of Live. Unter den 19 enthaltenen Songs liegt der Schwerpunkt auf den mit jeweils vier Stücken vertretenen Alben Throwing Copper und The Distance To Here, die restlichen vier Studio-Alben sind einigermaßen ausgeglichen repräsentiert. Die Songauswahl ist dabei in Ordnung, wenn auch verbesserungswürdig (wo zum Beispiel ist das grandiose Pain Lies On The Riverside?). Wie schon im Prolog angedeutet, zählen die ersten zehn Songs von Awake tatsächlich zum Besten, was der Alternative Rock uns bis Mitte der Neunziger zu bieten hatte. Vom ungestümen Drive von Operation Spirit (The Tyranny Of Tradition) über den verzweifelten Aufschrei I Alone hin zum düsteren Lakini´s Juice reihen sich Lieblingslieder und Hymnen die Klinke in die Hand. Doch mit laufender Spielzeit bzw. fortschreitender Band-Karriere schwindet die Qualität dieser Platte, bis man irgendwann frustriert auf den Stop-Knopf der Stereo-Anlage drückt und sich die ersten zehn Tracks nochmal im Repeat-Modus gibt. Neben den schon bekannten Songs enthält Awake als Bonus auch ein Cover des Johnny Cash-Songs I Walk The Line so den bisher unveröffentlichten Song We Deal In Dreams, ein Outtake aus den Throwing Copper-Sessions. Für beide Tracks kann man das gleiche Urteil fällen: Nett, aber absolut nicht essentiell. Gerade an unveröffentlichtem Material hätte man sich sicherlich noch einen hochklassigeren Vertreter herauspicken können.
Fazit: Awake verdeutlicht gnadenlos den rasanten Fall dieser einstmals so wichtigen Band zu einer bloßen Randnotiz im großen amerikanischen Kommerzrock-Zirkus. Das schmerzt, weckt aber auch schöne Erinnerungen an bessere Zeiten. Kauft euch für das Geld, das ihr in diese Best-Of-Platte investieren würdet lieber Throwing Copper, denn das ist die wahre Best-Of-Scheibe. Heute sind Live leider nicht mehr als ein comicartig überzeichneter Abklatsch ihrer Selbst.
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend