"Lost In The Battle With Rock'n'Roll"? Von wegen: Slut haben sich dem Kampf auf ihrem sechsten Studioalbum einfach entzogen. Recht so.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. "We Got Lost In The Battle With Rock'n'Roll" formulieren es Slut auf ihrem sechsten Album "StillNo1" und treffen damit rückwirkend den Nagel auf den Kopf. Mit dem Vorgänger "All We Need Is Silence" hatten sich die deutsche Indie-Institution in eine Sackgasse manövriert. Mit einem Album, das für sich gesehen durchaus funktionierte, den Anspruch auf Weiterentwicklung aber vernachlässigte. Und das nur, weil sich die Band für die Beschränkung auf eine minimale Rockinstrumentierung entschied und sich so selbst einen kreativen Riegel vorschob. Freiwillig und vorsätzlich. Ein klassisches Eigentor.
Das gestand sich die Band bald darauf auch selbst ein und wagte mit der Neuvertonung von Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" einen Schritt in die richtige Richtung, die da hieß: Neuland entdecken. Wieder von Altbewährtem abrücken und sich selbst in Frage stellen – erstmals auch in deutscher Sprache. Das geplante Album musste nach einem Rechtsstreit mit den Erben von Kurt Weill zwar auf EP-Ausmaße zurechtgestutzt werden, das Primärziel aber war durch die Frischzellenkur ohnehin schon erreicht: Freigeschwommen von Erwartungshaltungen und befreit aus der Einbahnstraße Rock, begaben sich die fünf Ingolstädter mit wiedererstarkter Spielfreude und Experimentierlust ins Studio.
Das Ergebnis ist nicht das theatralische Bühnenalbum geworden, das man nach der "Dreigroschenoper" vielleicht hätte erwarten können, zeigt aber eine Band, die wieder Gefallen an Opulenz und instrumentaler Vielfalt gefunden hat. "StillNo1" ist in Maßen eine Rückbesinnung auf die Variabilität und den pompösen, schwelgerischen Breitwand-Pop des besten Slut-Abums "Lookbook", zugleich aber deutlich introspektiver. Ein vielfältiger Reigen aus erstaunlich vielen Reminiszenzen an die Achtziger, wenigen Rockismen und noch weniger offensichtlichen Singles. Kein "Easy To Love", kein "Why Pourquoi?" - die balladeske Single "Wednesday" erzeugt allein mit Stimme, Piano und sachten Akustik-Akkorden für Gänsehautmomente. Deutlich höhere Chancen auf Airplay in der Indie-Disse hat da wohl die zweite Auskopplung: "If I Had A Heart" kombiniert auf elegante Art und Weise die schwermütige Romantik von Joy Division mit einem treibenden Beatgerüst. Der ambivalente Albumtitel deutet es an: Slut wollen sich nicht festlegen und gestalten "StillNo1" so offen wie möglich. Zwischen einer sanften Elegie wie "Ariel" und einem beschwingt nach vorn stampfenden Rocksong wie "Better Living" liegen Welten, auf dieser Platte aber nur ein Song. Die vielleicht größte Überraschung: Für "Failed On You" breiten Slut die Schwingen aus und setzen zum körperlosen Gleitflug über der Märchenwelt Islands an – jenen falsettlastigen Sphären, die auch Sigur Rós ihre "Heima" nennen. "Tomorrow Will Be Mine" hingegen ist im Grunde genommen nichts anderes als die slutsche Version eines Sauflieds; eine Hymne auf den bewussten Exzess bis zur Besinnungslosigkeit. Kaum weniger hedonistisch dann schließlich der dramatische Abschluss (und einstige Titeltrack) "Say Yes To Everything", bei dem dann doch noch ersichtlich wird, dass der Ausflug ins Theatergeschäft Spuren hinterlassen hat.
Ganz ohne Mäkel aber kommt "StillNo1" nicht aus. Der größte: die mitunter unangenehm höhenlastige Produktion. Auch die Forderung nach einem korrekten Umgang mit der englischen Grammatik ist nach 13 Jahren Bandgeschichte wohl nicht völlig vermessen. Und für ein Meisterwerk von "Lookbook"-Ausmaßen ist "StillNo1" letztlich ein wenig zu solide. Doch den Fehler, sich zu wiederholen, wollten Slut ja ohnehin nicht noch einmal begehen. Freiwillig und vorsätzlich. Im Großen und Ganzen also: Neuerfindung geglückt.
Wertung:
-------------- this is a film that has no end fiction fights feelings absent as absurd as it sounds there´s more truth than you pretend