Logo, Hamburg 2. März 2005 ca. 300 Besucher Tickets: 18 Euro
Natürlich sind 18 Euro für das Konzert einer nun auch nicht dermaßen bekannten Band kein Pappenstiel – erst Recht für einen kleinen Laden wie das Logo. Auf der anderen Seite sind die Dresden Dolls das Geld definitiv wert und in einem solch kleinen Rahmen wird man die beiden auch nie wieder sehen können – das beweisen ja schon die Massen, die sich heute auch vom stolzen Ticketpreis nicht abschrecken lassen. Das Publikum sieht so aus, wie Amanda und Brian es mir heute Nachmittag vorausgesagt haben: sehr, sehr unterschiedlich. Würde man nicht wissen, wie vieler Einflüsse sich die Dresden Dolls bedienen, man könnte es an der äußeren Erscheinung des Publikums mit Leichtigkeit ablesen. Ein 2 Meter großer, breitschultriger Transvestit mit Engelsflügeln reicht uns zur Begrüßung eine weiße Rose, beim Jacke abgeben hustet dir ein Robert Smith-Klon etwas ins Ohr, die beiden Iropunks an der Bar sind nicht halb so auffällig wie das Zwergenmädchen mit den pinken Haaren bis zum Arsch. Beim Pissen bist du eingerahmt zwischen einem Altlederjacketragenden Altrocker mit Altbierfahne und dem Adidastrainingsjackenhemdchen. Vokuhila, Dreadlocks, Seitenscheitel - heute sind wir alle eitel. Das Logo ist so voll, dass man selbst ganz hinten an der Bar noch Ellenbogen an Ellenbogen steht; wahrscheinlich wurden auch mehr Karten verkauft als eigentlich erlaubt. Eine merkwürdige Situation für eine Band mit einem einzigen Album nach einer einzigen kleinen Europatour und alles andere als spektakulärem Airplay. Dass heute Abend das Motto „Frauen an die Front“ gilt, zeigen nicht nur die weiblichen Gäste mit Riottttt Girl- und Sleater Kinney-Shirts, sondern auch die Vorband heute Abend: The M.A.S.S. (Übrigens nicht zu verwechseln mit den weirden Postrockern The Mass aus dem großartigen From Monument To Masses-Umfeld). Rhythmischer Garagenrock ist die Musik, die zwar ganz cool scheint, auf die man aufgrund der ekstatischen Performance der ziemlich verrückten Frontfrau aber nur am Rande achten kann. Die tobt nämlich mit der bewusst gewählten geschmacklosen Kleidung der Fallschirmhosenachtziger über die Bühne wie ein Emanze gewordener Derwisch; ihre riesig aufgerissene Augen verraten, was man von ihrem exhibitionistisch extravaganten Verhalten nur vermuten kann : die is voll auf Kokain. Robbt auf Knien, klettert wie ein Orang-Utan und mimt den arroganten Rockstar der männlichen Rockwelt wie ich es sonst höchstens noch bei Peaches gesehen haben. Ein wirklich cooler Auftritt. Danach wurde wieder eine alte Frage gestellt: wohin drängelt man sich wenn nicht ein Zentimeter Platz mehr ist? Und wie raucht man, wenn dafür einfach kein Platz (und geschweige denn die Luft) vorhanden ist? Fragen über Fragen deren Antworten uns die Welt auf ewig schuldig bleiben wird. Die waren aber auch ziemlich schnell vergessen, als Brian und Amanda alias The Dresden Dolls die kleine Bühne des Logo betraten und ihren Gig mit dem Opener ihres selbstbetitelten Debütalbums Good Day begannen. Die beiden sind Freunde der Juxtaposition (mehr dazu im bald online gehenden Interview): er der böse, stille Schlagzeuger auf der rechten Seite, sie die liebe und singende Klavierspielerin auf der anderen. Auch wenn sie diese Rollen während ihres Gigs übernehmen, es sind keine gefälligen Rollenspiele zum Selbstzweck, sondern Energie- und Emotionssteigernde Mittel für das Ziel einer intensiven und unter die Haut gehenden Rockshow. Die viel zitierte Varieteshow der Dresden Dolls findet eigentlich auch eher selten statt: es ist eine Rockband, die nicht spielt, sondern macht was man von einer solchen im besten Falle hoffen kann: amtlich rocken. Beim zweiten Europaaufenthalt könnte das Publikum alle Texte mitsingen: auch das ein Zeichen dafür, dass da etwas entstandenes ist, dass begeistert und mitreißt. Missed Me, Half Jack und natürlich der Übersong Coin-Operated Boy (bei dem Brian wie ein solcher zackig-robotisch die Drums bedient): die Liste Hits der Dresden Dolls ist schon jetzt länger als die so mancher nach zehn Jahren. Und auch das Covern beherrschen die unheimlich erotische Amanda und ihr ebenso attraktiver Partner Brian wie wenig andere. Die erste Zugabe beginnt mit War Pigs von Black Sabbath, das sie wie immer George W. widmen (letzteres war deswegen etwas enttäuschend, weil Brian so was im Interview noch als ein wenig billig kritisiert hatte). Ein superbes Cover an das man sich auch erst mal rantrauen muss. Am aufsehen erregendsten war aber eine andere Neuinterpretation: Seeräuberbraut Jenny von Kurt Weil aus Berthold Brecht’s Dreigroschenoper, von Amanda auf deutsch vorgetragen und sicher den heftigsten Applaus des Abends auslösend. Auch wenn sich Brian bei zwei Liedern seine Gitarre schnappte: was die Dresden Dolls aus zwei Instrumenten herausholen ist einfach unglaublich. Es fehlt nicht, ja mehr würde nur stören. Die Magie zwischen den beiden verzaubert alle Umstehenden, was sie machen ist was sie machen müssen weil es leidenschaftlich tief in ihnen verankert ist. Eine Leidenschaft, die dich ansteckt und denken lässt: danke, das ich hier dabei sein darf, danke für endlich einmal wirklich einzigartige und bewegende Musik. Man konnte sehen, dass die Dresden Dolls eine der ganz wenigen neuen Bands sind, die den Konsens schaffen können zwischen künstlerischer Innovativität und gleichzeitiger schon fast radiokompatiblen Eingängigkeit und, da muss man kein Prophet sein, sehr bald sehr erfolgreich und beliebt sein werden. Mein bisheriges Konzerthighlight im schon jetzt ganz sicher nicht Highlightarmen Konzertjahr 2005.
-------------- The artist formerly known as Ulrich.