An diesem Abend ist es durchaus gestattet, ein bisschen sentimental zu werden und sich an Vergangenes zu erinnern. An gemeinsame Konzerte von Muff Potter und Hot Water Music zum Beispiel. Doch perfekte Abende existieren nicht nur in unseren Erinnerungen, sondern können durchaus auch noch in der Gegenwart stattfinden. In dieser Gegenwart hat man gerade einen traumhaften Urlaub hinter sich und kann völlig entspannt in genau einen solchen Abend starten. Der feine Unterschied: diesmal handelt es sich um ein Konzert von Muff Potter und Chuck Ragan, dem ehemaligen Sänger der Gainesville-Legende.
Zunächst steht jedoch ein prächtig aufgelegter Kevin Devine auf der Bühne und vermag es mit seiner sympathischen Art den Leuten sofort ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Der kleine, chaotische Typ, der heute noch nicht weiß, wo er nächste Woche auftreten wird, lebt tatsächlich nur für seine Songs. Und für die Musik im Allgemeinen. Da werden neben eigenen Sachen, wie dem älteren Every Famous Last Word und dem neuen Trouble auch mal Stücke von Bob Dylan oder Brand New gespielt. Und die Leute sind begeistert. Selten wird der erste von drei Acts an einem Abend so gefeiert, wie hier in Gießen.
Als Chuck Ragan dann sein Set mit Akustikgitarre und der alten Rumbleseat-Nummer California Burritos eröffnet, ist die Spannung im Publikum mit Händen zu Greifen. Im Gegensatz zu manch anderen Shows auf der Tour sind die Leute hier im Schnitt wohl alle über zwanzig und mit Hot Water Music aufgewachsen. Studentenstadt, eben. Doch trotzdem, wo erlebt man schon ein Akustikkonzert, bei dem die Leute in den ersten Reihen mit gereckten Fäusten die Songs mitsingen. Jedes Mal, wenn Chuck Ragan bei Stücken, wie The Boat, For Broken Ears oder It’s What You Will die Stimme anhebt, läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken. Dass ich nicht der einzige bin dem es so geht, erschließt sich beim Blick in die umstehenden Gesichter. Endlich ist dieser Mann wieder in Deutschland und tatsächlich spielt er sogar die alte Hot Water Music-Nummer God Deciding. Muff Potters Nagel steht am Bühnenrand und gibt den Roadie für seinen alten Kumpel, den er immer noch genauso anzuhimmeln scheint, wie auf den ersten gemeinsamen Touren vor langer, langer Zeit. Am Ende stehen sie gemeinsam auf der Bühne und brüllen zusammen mit dem Publikum die Muff Potter-Ballade See Yourself To The Door. Unbeschreiblich.
Mit Muff Potter ist es dann so eine Sache. In diesem Sommer habe ich die Band extrem häufig gesehen und kann ganz sicher sagen, dass dieser Auftritt ihr bisher bester zu dem neuen Album ist. So einen perfekten Sound gab es den ganzen Sommer nicht und dazu kommt dann, erstmals auf einer Muff Potter-Tour, die professionelle Lightshow. Sogar die Wohnzimmerlampen blinken in den buntesten Farben zur Musik. Und auch wenn mal wieder auf alte Smashhits verzichtet wird, kann sich eigentlich niemand beschweren, es würde zu viel neues Material gespielt werden. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, auf welcher Tour das letzte Mal Songs wie Meduzin oder das großartige Gefühlsbonzentreffen im Set waren. Zum Abschluss kommt dann endlich auch Chuck Ragan noch einmal auf die Bühne, um die Punkrockversion von The Boat zu unterstützen. Selbst Nagel kann dann plötzlich wieder ins Mikro rotzen, wie zu alten Bordsteinkanten-Zeiten und als dann endlich wieder alle vereint sind, entsteht der wohl raueste, aber doch schönste und intimste Moment dieses Abends. “As dark colors fill the sky, I'm drenched and feeling so alive, eyes closed tight and my ears open for the boat.”
Das halbvolle Glas des Kulturpessimismus Wunschkonzert Wenn, dann das hier Elend # 16 Zu Wenig Die Guten Sie tippen irre auf deinen Möbeln Auf der Bordsteinkante Molotow Fotoautomat Schwester im Rock Alles was ich brauch Das sehe ich erst, wenn ich’s glaube Bitter Lemon Den Haag Alles nur geklaut ------------- Meduzin Gefühlsbonzentreffen The Boat Steady Fremdkörper