purerock.de interviews: GOOD RIDDANCE

Am 26.09.2001 habe ich die Jungs von Good Riddance vor ihrem Auftritt in Hannover beim Video gucken gestört und Russ, den Sänger, zum Interview gebeten:

 

Seit wann seid ihr jetzt schon auf Tour?
Bisher sind wir eine Woche unterwegs.
Wie lange wird die Tour dauern?
Bis zum 20. Oktober.
Ist jede Show anders oder langweilt ihr euch manchmal? Spielt ihr jeden Abend die gleiche Setlist?
Seit Tourbeginn haben wir jeden Abend das gleiche Set gespielt, aber ich denke, wir werden wohl etwas verändern. Vielleicht ein paar mehr Lieder vom neuen Album oder die Reihenfolge ändern. Aber im Grunde jeden Abend das Gleiche.
Wie verbringt ihr eure freie Zeit unterwegs? Videos gucken, wie ich gesehen habe?
Ja, man guckt Videos. Manchmal geht man in die City. Death By Stereo, die Band mit der wir unterwegs sind, sind zum ersten Mal in Europa und David, unser neuer Schlagzeuger, war auch noch nie hier. Also wollen sie Städte sehen und sich umschauen. In den meisten Städten, in denen ich vorher war, gibt es coole Sachen zu sehen. Man geht in Einkaufszentren, in Restaurants. Im allgemeinen lese und schreibe ich viel oder wir gucken Videos.
Was hältst du vom europäischen Publikum? Bemerkst du Unterschiede zu den US Shows?
Ja, es gibt Unterschiede. Aber nichts gravierendes. Es ist wirklich cool, zu wissen, daß man Teil einer Musik-Szene ist, in der man soweit reisen kann und immer noch Leute findet, die verstehen, wovon man spricht und sich für die gleichen Dinge interessieren. Zu sehen, wie Musik verschiedene Sprach- und Kulturbarrieren überwinden kann, ist echt toll. Das merkt man, wenn man das Publikum in anderen Ländern sieht. Genau wie bei europäischen Bands, die ich höre, obwohl sie in einer anderen Sprache singen und von anderen Orten kommen, kann ich nachvollziehen, wovon sie reden und das wir alle irgend wie Teil der gleichen Sache sind.
Kennst du deutsche Punk-Bands?
Ich kannte vor langer Zeit mal eine Band namens Porno Patrol. Natürlich Terrorgruppe, Die Ärzte, Toten Hosen, viel mehr nicht. Ich stand auf einige italienische Bands wie Gazioni (???) und Raw Power und skandinavische Band, z.B. aus Finnland.
Kennst du Wizo, da sie ja beim gleichen Label sind wie ihr?
Ja klar, mit denen haben wir schon gespielt.
Spielt ihr lieber größere Konzerte, z.B. auf Festivals oder Club-Konzerte wie heute?
Ich finde beides gut. In einem kleineren Club macht es viel mehr Spaß zu spielen, weil die Leute direkt da sind, nah dran. Festivals sind gut, weil wir die Chance bekommen, vor vielen Kids zu spielen, die unsere Band möglicherweise noch nie vorher gesehen haben. Wenn wir also die Chance bekommen, Vorband für z.B. NoFX zu sein oder auf dem Bizarre Festival oder der Deconstruction Tour zu spielen ist das sehr gut für die Band. Viele Leute kommen, um die Headliner zu sehen, dann sehen sie uns und vielleicht gefällt es ihnen. Wenn wir dann in einem Club spielen, sind diese wieder da und wir haben ein paar neue Fans gekriegt. Das funktioniert ziemlich gut.
Und jetzt eine Frage die du bestimmt schon des öfteren gehört hast: Wessen Idee war der Name? Was bedeutet er euch? Richtet er sich an jemanden spezielles?
Der Name ist mir eingefallen. Es ist eine Art englischer Ausdruck. Wenn jemand, den du nicht magst, bei dir zu hause ist und er endlich geht, sagst du "Good Riddance". "Es ist toll daß du gehst und komm nie wieder". Das hat sich cool angehört, das ist ein toller Name für eine Band. Aber ich denke bei dem Namen an niemand spezifischen.

rid·dance s: good riddance (to him)! colloq den sind wir Gott sei Dank los!; get out and good riddance auf Nimmerwiedersehen. © LANGENSCHEIDT

Kannst du die Bandgeschichte in ein paar Sätzen zusammfassen?
Sicher. Luke, unser Gitarrist, ist seit 1990 in der Band. Er und ich machen das hier schon seit einer langen Zeit zusammen. Unser Bassist ist 1994 dazu gekommen. Damals sind wir viel mit Demo-Tapes durch die Gegend getourt und keiner wusste so richtig wer wir waren. In etwa zu der Zeit kamen wir zu Fat Wreck Chords. Dann konnten wir viel touren und Platten aufnehmen. Unser erstes Album kam 1995 raus, "For God And Country", bei Fat Wreck Chords. Wir haben grade unsere fünfte Platte veröffentlicht, "Symptoms Of A Leveling Spirit". Außerdem haben wir einen neuen Drummer, David, der seit etwa einem Jahr in der Band ist.
Wenn ich die älteren Lieder, von z.B. "A Comprehensive Guide To Modern Rebellion", mit den neueren vergleiche, bemerke ich ziemlich große stilistische Unterschiede. Wie würdest du sie beschreiben und was sind ihre Gründe?
Was für Unterschiede fallen dir denn auf?
Ich denke, die älteren waren mehr Hardcore und die neueren sind eher Street Punk/Skate Punk.
Ich weiß nicht wirklich, was Hardcore ist oder Street Punk oder Skate Punk, also kann ich das nicht so richtig kommentieren. Als ich zu dieser Musik kam, war man Hardcore, wenn man Dead Kennedys gehört hat, oder Black Flag. Aber ich denke, das ist heute anders. Vielleicht war es vor zehn Jahren anders und es wird sich sicherlich wieder ändern. Das Wort Harcore scheint sehr subjektiv zu sein. Es bedeutet jedem etwas anderes. Ich finde, unsere Band spielt Musik, die melodisch ist und manchmal aggressiv. Ich denke, das war schon immer so seit wir angefangen haben. Wenn sich seit dem Album, das du erwähnt hast bis heute etwas verändert hat, dann liegt es daran, daß wir an der Entwicklung unseres eigenen Stils gearbeitet haben und daran, nicht so zu klingen, wie die Bands, die uns beeinflußt haben. Früher konnte man die Einflüsse deutlicher hören. Ich hoffe, wir haben mittlerweile unseren eigene Stil von Good Riddance-Musik, der sowohl melodisch als auch aggressiv ist.
Wer hat euch früher beeinflusst?
Bands aus unserer Heimat, Kalifornien: Black Flag, TSOL, Adolescence, D.I. (Anm. d. Red.: Sorry, aber ich konnte nicht wirklich alle Bandnamen verstehen). Auch Bands von der Ostküste wie zum Beispiel Big Boys, Cro-Mags, Faith und Void [...]. Bands wie diese. Wir wurden auch von Bad Religion, Pennywise, Lagwagon, NoFX, Propagandhi, Lifetime, Sick Of It All usw. beeinflusst.
Und wer sind heute eure Lieblingsbands?
Mal sehen. Ich mag eine Band namens "Kill Your Idols" aus New York (Yeah, KYI! Der Chefred.), Ensign aus New Jersey, Leatherface aus England. Meistens höre ich aber alte Sachen.
Mit wem würdet ihr am liebsten touren, wenn ihr es euch aussuchen könntet?
Wir hatten schon die Möglichkeit, mit vielen richtig guten Bands zu touren, so ziemlich jeder, mit dem ich mir je zu touren gewünscht hätte. Wenn Bad Religion anrufen würden, um zu fragen, ob wir mit ihnen touren würden, oder Pennywise, das wären wahrscheinlich die Besten. Wir hatten schon sehr viel Glück und konnten mit Sick Of It All und vielen anderen dieser Bands spielen, die wirklich, wirklich gut sind und zu denen wir aufschauen. Das sind die einzigen beiden übrig gebliebenen Bands, mit denen wir noch nicht gespielt haben.
Was hältst Du von "million-selling" Bands wie Blink 182, The Offspring oder Green Day? Denkst Du sie sind weniger Punk, weil sie Goldene Schallplatten haben?
Das denke ich nicht. Ich habe dazu nichts zu sagen. Sie sind erfolgreich in dem was sie tun. Ich denke nicht, daß GR jemals in diese Situation kommen wird, also denke ich nicht viel darüber nach.
Wenn ich auf die letzten vier Jahre zurückblicke, habt ihr jedes Jahr ein Album veröffentlicht. Welches gefällt Dir am besten? Habt ihr schon Pläne für ein neue Platte?
Wir haben erst im Juli unsere letztes Album rausgebracht, und wir haben erst September, wir haben noch nicht über etwas neues nachgedacht. Es ist ja erst ein paar Monate draußen.
Ich denke, unser neuestes, "Symptoms Of A Leveling Spirit", ist bei weitem unser bestes Album. Wir haben es wirklich auf eine ganz neue Ebene geschafft. Songschreibe-technisch und text-inhaltlich, aus unserer Erfahrung im Studio das zu machen, was wir wollen. Ich denke, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo wir in der Lage sind, ins Studio zu gehen und die Zeit zu unserem Vorteil zu nutzen. Früher waren wir uns nicht sicher, was wir machten, die Dinge stiegen über unsere Köpfe. Jetzt sind wir soweit, ins Studio zu gehen und zu wissen, was wir daraus machen wollen, und wir sind willens, jedes erdenkliche Mittel zu nutzen, um dorthin zu gelangen. Wir hatten auch viel Hilfe von den Jungs, die unser Album produziert haben. Bill Stevenson und Steven Eggerton haben uns sehr viel bei diesem Album geholfen. Ich denke, es ist mit Abstand das beste Ding, das wir je gemacht haben.
Welchen Einfluss hat das Internet, ins Besondere MP3 auf euch? Denkt ihr, ihr verkauft weniger Platten, weil Leute eure Lieder umsonst aus dem Netz kriegen können? Oder gefällt euch die Möglichkeit, eure Lieder auf diese Weise zu verbreiten, ohne daran zu verdienen?
Ich finde es cool, daß Bands von Kids, die durch Musikdateien im Netz stöbern, gehört werden können. Ich denke, das hilft vielen Bands. Es ist Fakt, daß die Plattenverkäufe deswegen unten sind. Nicht nur wir sondern fast jede Band verkauft wegen des Internets weniger Platten. Das ist nicht gut. Ich denke einfach, dies ist eine weitere Situation, in der die Technologie jegliche Regulierung überholt hat. Es gibt nichts, was ich persönlich dagegen tun kann. Ich bin auch kein Fan von Leuten, die in Internet-Foren Scheiße über Bands und die Szene labern. Das ist unverantwortlich, kontra-produktiv und selbstsüchtig. Oft haben Leute in Foren wirklich verletzende Dinge geschrieben und das mit meinem oder dem Namen eines anderen signiert. Tatsächlich waren wir es nicht. Der Mangel, jemanden verantwortlich zu machen, den das Internet Feiglingen, die Scheiße labern wollen, bietet, ist bedauerlich. Aber wie ich bereits sagte, kann ich nichts dagegen tun. Leute machen, was sie machen. In der Punk- und Hardcore-Szene gibt es gute Leute und Arschlöcher, wie überall anders auch.
Wo wir gerade bei Geld waren: Ich kann mir kaum vorstellen, daß man von einer Punkband leben kann. Habt ihr neben der Band "richtige" Jobs?
Im Moment nicht. Manchmal, wenn wir eine Weile nicht auf Tour sind, haben wir zu hause Jobs. Normalerweise kannst Du keinen Job haben, wenn Du viel unterwegs bist, weil Du nie zu hause bist. Du kannst nicht "Ich möchte hier arbeiten, aber ich bin ab nächste Woche weg. Ich bin erst in vier Monaten wieder da. Ist das OK?" sagen. Meistens klappt das nicht. Bis jetzt hat es immer ganz gut funktioniert, wir können unsere Mieten und Rechnungen bezahlen. Was die Lebenshaltung angeht, ist die Band praktisch wie ein Job, von dem, was man herausbekommt. Es ist eine komische Art, Geld zu verdienen, weil Du nicht weißt, ob Du überhaupt etwas verdienen wirst. Man geht auf Tour und hofft das Beste. Bis jetzt hat es für uns gut funktioniert.
Was für Jobs hast Du gemacht?
Zuletzt habe ich in einem Buchladen gearbeitet. Sie hatten so einen Café, ich habe Espresso und so gemacht. Ich mochte es wirklich. Ich wollte es nicht aufgeben, aber wir gingen für längere und längere Zeiträume fort und irgendwann konnten sie mich nicht mehr behalten.
Da ihr als die zweit-politischste Band bei Fat Wreck Chords nach Propagandhi eingeschätzt werdet...
Wer sagt das?
Die Fat Wreck Chords-Homepage...
Oh, wirklich??
...wollte ich Dich eigentlich nach George W. Bush fragen, bevor die Terror-Attacken am 11.9. geschehen sind. Möchtest Du trotzdem noch etwas dazu sagen oder zur Lage in den USA und dem Mittleren Osten im Moment?
Ich habe nicht für ihn gestimmt. Ich wünschte, er wäre nicht Präsident. Weiter will ich dazu nichts sagen.
Bevor wir zum Ende kommen, habe ich noch eine Leserfrage: Jemand wollte wissen, warum das 1995-Album "For God And Country" heißt und ob jemand aus der Band religiös ist?
Um das herauszufinden, solltest Du jeden einzeln fragen. Ich schätze, daß nach meinem Wissen keiner in der Band nach außen eine spezifische Religion praktiziert. Soweit ich weiß... Aber ich könnte auch falsch liegen. Ich glaube an Spiritualität, aber ich denke, da gibt es einen großen Unterschied zu Religion. Ich glaube an etwas da draußen, daß größer ist als wir. Aber ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Ich würde es nicht als Religion einstufen. Es gab Zeiten in der Vergangenheit, wo ich Lieder über Leute, die religiös waren, geschrieben habe und eine schlechte Meinung von ihnen hatte. Doch diese habe ich jetzt nicht mehr. Ich habe an Akzeptanz gewonnen, schätze ich. Wenn es für Dich funktioniert, ist es cool. Ich werde nicht vorgeben, mehr zu wissen, als irgendwer anders, ich verurteile niemanden nach seinem Glauben, solange wie sie gute Menschen sind. Ich halte organisierte Religion für blöde, aber sie tut niemandem weh. Ich denke, glaube funktioniert für viele Menschen.
Und der Albumtitel? Ich halte es für Sarkasmus...
For God And Country? [Anm. d. Red: Für Gott und Vaterland] Eine Sache, die ich genieße, mit der Band zu tun, ist Splitter von Patriotismus und spezifische amerikanische Slogans für solche Dinge zu verwenden. Ich mag es, sie aus dem Zusammenhang zu reißen. Wenn Du also eine Platte hast, die auf dem Cover einen Flaggen-drapierten Sarg und eine Marine Guard zeigt, sie heißt For God And Country und die Texte im Inneren decken viele unbeantwortete Fragen auf und zielen auf die Politik des American Way Of Life, dann reißt das den patriotischen Aspekt aus dem Zusammenhang. Es irgendwie macht Spaß, das zu tun. Ich wurde sehr von einer Band namens "Born Against" beeinflusst, die darin sehr gut waren.. Sie hatten immer solche Albumtitel. Wenn Du es nicht besser gewusst hast, konntest Du denken, es ist eine wirklich patriotische Platte, wenn Du sie gekauft hast. Das bedeutet aber nicht, daß wir Anti-Amerikanisch sind und das bedeutet nicht, daß wir irgend jemanden in Amerika krank wünschen. Es heißt einfach nur, daß es manchmal sehr kraftvoll ist, Slogans zu nehmen, die man uns als Kinder gelehrt hat und sie von Außen zu betrachten, um zu versuchen, herauszufinden, was sie wirklich bedeuten und welche Werte sie im heutigen Leben enthalten können.
OK, das war’s schon.
Cool, danke...
Ich danke!

Jan Team purerock.de

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